Interview Katrin de Guia Teil 1: Münchner Anfänge und "Perfumed Nightmare"

 

Frage: In vielen Filmen von Kidlat Tahimik steht Dein Name in den Credits, zum Beispiel bei der Ausstattung oder den Kostümen. In „Perfumed Nightmare“, in „Why is yellow the middle colour of the rainbow?“ und in einigen Kurzfilmen stehst Du auch vor der Kamera. In diesem Gespräch wollen wir Deine Rolle bei der Produktion der einzelnen Filme klären. Hattest Du schon bei „Perfumed Nightmare“ eine Rolle bei der Produktion inne?

 

Antwort: Bei der Produktion direkt nicht. Aber ich war die Gesprächspartnerin bei der Entwicklung des Films. Der Protagonist von „Perfumed Nightmare“ sollte zum Beispiel ursprünglich unter dem Auto erfrieren. Das habe ich Kidlat ausgeredet und gesagt: "Einen Film so trist auslaufen zu lassen, das wäre schade." Ich hatte eine unterstützende Rolle. Das ist natürlich nicht im Film drin. Das ist wie bei Kurosawa, der hatte ja auch eine Lebenspartnerin, die die Hälfte von seiner Arbeit gemacht hat, aber niemals irgendwie erwähnt wird. Jeder kreative Prozess ist doch eigentlich eine Auseinandersetzung. Ich war halt die Person, die immer da war. Ich und Charlie Fugunt, der als Editor auch enorm viel beigetragen hat.

 

Frage: Kidlat Tahimik hatte vor „Perfumed Nightmare“ noch nie einen Film gemacht und auch keine Ausbildung in diesem Bereich und wollte diesen ambitionierten, langen Film mit so einer ungewöhnlichen, versponnenen Geschichte machen. Hattest Du jemals Zweifel, ob er dieser Aufgabe gewachsen war?

 

Antwort: Natürlich hatte ich die. Mein Bruder war auch Filmemacher. Ich hatte also schon vorgeprägte Erwartungen: Mehr als ein halbes Jahr lang arbeitet man an so was nicht. Und wenn es dann nicht klappt, dann schmeißt man es halt weg und fängt noch mal neu an. Meine deutschen Freunde und Verwandten haben auch immer gefragt: "Spinnt denn der jetzt? Ist der da noch immer dran? Jetzt sind schon zwei Jahre vergangen." Das habe ich im häuslichen Bereich auch vorgetragen. Aber er war einfach anders. Schon als wir uns das erste Mal getroffen haben, habe ich intuitiv gemerkt, der tickt auf seine eigene Art und Weise. Ich weiß zwar nicht wie, aber er tickt anders und es ist nicht, dass er falsch tickt. Das hat später auch zu meinem Verlangen geführt, tiefer in die philippinische Psychologie und Kultur einzudringen.

 

Frage: Könntest Du die Lebenssituation in München beschreiben, während „Perfumed Nightmare“ entstanden ist?

 

Antwort: Wir haben von der Sozialhilfe gelebt. Als dann das Kind unterwegs war, hat er mir einen Heiratsantrag gemacht. Ich habe mich gefragt: Ein Aussteiger von den Philippinen, den kein Mensch kennt und der einen Kopf kleiner ist als ich – was soll das überhaupt? Ich wollte eigentlich nie heiraten. Ich wollte auch keine Kinder. Das glaubt mir zwar heute kein Mensch mehr, weil ich drei Kinder habe. Die Kinder kamen einfach, zufällig.

 

Und dann haben wir zuerst mit meiner Freundin gewohnt, die eben diese fünf Töchter hat. Auf dem Land. Das war da noch relativ einfach. Da haben wir halt alles selber gemacht und die Kinder zusammen gehütet. Da waren drei junge Paare mit Kleinkindern. Die Filmemacher, die uns dorthin gebracht haben, sind mit der Zeit alle ausgezogen. Mit Kindergeschrei und so wollte sie nichts zu tun haben. Und wir waren dann also nur noch Familien. Ein halbes Jahr war das ziemlich gut, wirklich schön. Das war in in Oberlappach bei Maisach. Diese Filmemacherkommune in Arget mochte ich nicht. Da ging es zu wild her. Die haben Drogen genommen. Da haben interessante Typen gewohnt, aber der Preis war zu hoch. Heute sagen die Leute: "Kidlat Tahimik hat in einer Kommune gewohnt und dann dort seine Frau kennengelernt." Also wir waren eigentlich alle Studentinnen in einem Frauenhaus und haben eigentlich überhaupt nicht da mitgemacht bei diesen nächtlichen und täglichen Theater. Und waren eigentlich ziemlich unabhängig. Es war halt so, dass eine Frau durch diese Kommune von diesem Haus gehört hat, und wir dann halt dort eingezogen sind. Es war relativ nah an München. Man konnte mit der S-Bahn rein fahren. Ich war ja noch auf der Kunstakademie.

 

Kidlat Tahimik hatte mit der Arbeit an „Perfumed Nightmare“ schon vor der Geburt von unserem ersten Sohn angefangen. Als ich für die Geburt im Krankenhaus war, war Kidlat in Paris, um diese Szene in dem Fleischwagen zu drehen. Ich hatte schon eine leicht feministische Einstellung, und in dem Jahr wurde endlich in Bayern das Gesetz geändert, so dass eine Mutter Alleinsorgerecht für ihre Kinder haben konnte. Da bin ich sofort zum Amt und hab gesagt: "Ich will das Alleinsorgerecht." Ich war stinksauer auf Eric, weil der in Paris gefilmt hat. Gerade als er sich in den Lastwagen mit den Fleischhaken schwingt, hat er erfahren, dass er jetzt einen Sohn hat.

 

Und dann hat es noch fast eine Woche gebraucht, bis er wieder zurück war. Er hat immer diese Kommunikationslücken gehabt, wo du ihn nicht erreichen kannst. Dann musst Du irgendwelche Freunde fragen, wo er ist. Obwohl er so freundlich ist, ist er privat ein schwieriger Mensch. In diesen Situationen habe ich mich schon öfters geärgert. Aber ich war ja auch selber nicht so ein Heimchen, das Ansprüche stellt. Ich war selber froh, dass ich unabhängig sein konnte und nicht so ein Mann habe, der dich ganz beansprucht.

 

Frage: Kannst Du uns etwas über Dein Studium an der Kunstakademie in München erzählen?

 

Antwort: Ich habe einen total genialen Professor gehabt, Robert Jacobsen, ein dänischer Bildhauer. Das war die Art von Professor, die mit einer Jacke ins Studio kam, die falsch geknöpft war. Der hat einem Freiheit gelassen. Die ganze Akademie hatte zu dieser Zeit einen Umsturz. In den fünf Jahre, in denen ich da war, konnte man experimentieren. Davor war es super-reglementiert, danach auch. Was ich gemacht habe, galt – außer den Bleiglasfenstern – nicht als Kunst. Ich habe auch mikroskopische Zeichnungen gemacht, ganz genaue Zeichnungen von Geweben und Blut und so weiter. Den Rest der Zeit habe ich eigentlich so ein richtiges Künstlerdasein geführt.

 

Ich hatte einen Freund, Dieter Cornelius, der ist schon tot. Dessen Familie hat mich aufgenommen. Weil ich meine Familie überhaupt nicht mochte. Ich hab von Anfang an das Gefühl gehabt, ich bin in der falschen Familie. Ich bin auf dem falschen Planeten. Ich bin auf der falschen Schiene. Und diese Familie, die waren Vegetarier, die waren in der Naturheilkunde, die hatten homöopathische Ärzte. Der Vater war Professor für Religionswissenschaft. Eine hochgebildete Familie, die in einem kleinen Häuschen am Ammersee gewohnt haben, wo sie ihren eigenen Gemüsegarten hatten. Die haben extra ein bisschen mehr angebaut haben für die Wühlmäuse, die meine Mutter immer mit Gift bekämpft hat. Jedes Wochenende am Ammersee gibt es Künstlerfeste mit Streichquartetten und allem Möglichen. Wirklich, der Ammersee ist der Kunstsee. Und da bin ich aufgewachsen.

 

Frage: Wie hast Du Kidlat kennengelernt?

 

Antwort: In der Straße vor der Akademie. Der fuhr mit seinem Jeepney rum, und wir haben gesagt: "Wow, schau Dir mal das Auto an." Und dann hat das Auto doch glatt gehalten, mitten auf der Straße. Und dann kam so ein Kopf in einer Mongolenmütze raus und sagt: "Ich fahr gerade zu einer Ausstellung. Wollt Ihr mitkommen?" Und da sind wir natürlich eingestiegen. So haben wir uns kennengelernt.

 

Frage: Den Jeepney hatte Kidlat Tahimik ja von der philippinischen Olympiamannschaft bekommen, die zu den olympischen Spielen 1972 nach München gekommen waren – für mich immer noch eine unglaubliche Geschichte. Und er wollte sein Geld ja damit verdienen, dass er Kopien des Olympia-Maskottchens Waldi verkaufte. Die hatte er in den Philippinen aus Capiz-Muscheln fertigen lassen, was dort eine traditionelle Volkskunst ist. Allerdings konnte er sie in München nicht verkaufen...

 

Antwort: Darum ist er bei uns in der Frauenkommune eingezogen. Weil es da oben, wo er sein kleines Räumchen hatte, wahnsinnig viel Speicherplatz gab. Das war dann alles voller Waldikisten und voll anderem Zeug. Und den Inhalt dieser Kisten hat er dann noch zwei Jahre lang von Oslo bis nach Italien runter verkauft, aus seinem Jeep. Aber das Debakel mit dem Waldis selbst habe ich nicht mitbekommen. Wir haben uns im September 1972 kennengelernt, also nach der Olympiade.

 

Und danach haben wir uns erst ein halbes Jahr später wieder gesehen. Da war ich gerade nach Arget in das Frauenhaus gezogen, und wir hatten noch ein Zimmer frei. Für Studenten ist ja jede Mark wichtig, und wir haben gedacht: „Mensch, wem vermieten wir denn das?“ Wir fanden keine Frau mehr. Und da sah ich Kidlat Tahimik auf der Leopoldstraße. Ich bin ihm richtig nachgelaufen. Der hat ja so einen leichten Gang, der ganz anders ist als der deutsche. Und dem bin ich nachgesaust auf der Straße und hab ihn gefragt: "Hey, brauchst Du zufällig eine Wohnung?" Ich wusste, dass er aus dem Studentenheim, in dem er gewohnt hatte, raus musste. Er hat sich das kleine Zimmer angeschaut und "Ja" gesagt. Und die ganzen Frauen haben auch gesagt: "Naja der, der tut uns nichts." Und dann kam er mit drei Jeepney-Ladungen Kisten voller Waldis an und hat die in unserem Speicher deponiert und in einem winzig kleinen Raum gewohnt. Später sind wir zurück nach München gezogen. In eine ziemlich schöne Wohnung in der Auffahrtsallee. Kidlat mußte jeden raus und rein nach München fahren, weil er immer mehr am Schneidetisch saß. Er hat zweieinhalb Jahre an „Perfumed Nightmare“ geschnitten.

 

Frage: Das Material aus den Philippinen existierte also zu dieser Zeit schon?

 

Antwort: Ja. Da ist er mit dem Hartmut Lerch runter gefahren. Da war ich nicht dabei. Da haben sie das alles gedreht und dann saß zweieinhalb Jahre am Schneidetisch. Und ich habe von Sozialhilfe gelebt. Ich hab mein Studium unterbrochen. Einfach war das nicht. Aber für mich war es wichtiger, irgendwie frei zu sein. Ich war ja einfach schon von früh an so ein Rebell.

 

Frage: Kidlat hat in Deutschland noch Material für einen zweiten Film gedreht, „Who Invented the Yo-Yo? Who Invented the Moon Buggy?“

 

Antwort: Um ehrlich zu sein, ich hatte es da schon ziemlich satt. Ich hab mich als alleinerziehende Mutter gefühlt. Er war ja nicht da. Er hat bei der Arbeit am „Perfümierten Alptraum“ nur noch am Schneidetisch geschlafen. Ich glaub, er hat sich nur noch von Schokolade und Leberkäse ernährt und ist da gar nicht mehr rausgegangen. Und dann ist diese Freundin von mir mit den fünf Töchtern raus nach Pöttmes gezogen. Und sind wir dann auch nach Pöttmes gezogen.

 

Es gab dann so eine Zwischenphase, wo er den kleinen 2 ½ jährigen Kidlat, mitgenommen hat auf Festivals. Überall hat er ihn mitgeschleppt, bis nach Cannes.

 

Und ich wollte einfach wieder zurück auf die Schule und mein Diplom machen. Das habe ich in Pöttmes gemacht. Ich habe einen Mann, eine Eisenfigur aus lauter Gurkenbüchsen zusammengeschweißt. Für den brauchst du einen Büchsenöffner, um überhaupt erst mal rein zu kommen. Dann habe ich noch einen Frau gemacht, eine kinetische Skulptur, die war aus Beton mit Gliedern aus Gipsabgüssen. Einen Kopf hatte die Frau nicht, denn eine Frau braucht ja nicht zu denken, und da kam dann ein Schnittlauchtopf rein. Das war meine Abschlussarbeit, und ich hab dafür sogar eine Auszeichnung bekommen. Und danach sind wir dann in die Philippinen gegangen.