Interview mit Katrin de Guia, Teil 4: "Why is Yellow the Middle Color of the Rainbow" 

 

Frage: Kidlat hat in unserem Interview gesagt, dass er die Filmarbeit zugunsten der Familie umgestellt hat. Er hätte zwar mit dem Filmemachen direkt nicht aufgehört, aber er hat irgendwann die Erziehung seiner Söhne in den Mittelpunkt gestellen. Und die Filme seien eine Art Beifang geworden.

 

Antwort: Ja, das stimmt im gewissen Sinn. Kawayan z.B. war eine Frühgeburt. Er war 6 ½ Monate alt. Er war ein Problemkind von Anfang an. Also ich alleine hätte es unmöglich mit ihm geschafft. Eric hat ja eine unendliche Geduld. Er hat ihn durch die Schule gebracht. Ich konnte ja nicht mal Tagalog. Kidlat ist enorm begabt, ein Schnelllerner wie er im Buch steht. Aber die anderen beiden waren eher Langsam-Lerner. Das hat wirklich Eric aufgefangen. Er hat mit denen gelernt. Nachts bis um zehn die Hausaufgaben gemacht.

 

Dann fing das ja auch an, dass ich mich auf mein Studium vorbereitet habe und dann wirklich weg vom Fenster war, in meinem eigenen Studium. Da hatte er wirklich keine Zeit mehr. Aber was er dabei natürlich nicht sagt, das hat auch mit Video zu tun. Er hatte zu Hause, Kisten über Kisten voller Videos. Lauter uneditiertes Zeug. Er hat also ja weiterhin aufgenommen. Er hat sich neue Kameras gekauft und an die neuen Formate angepasst, was dann immer ein Familiendrama war. Wir brauchten Unterhosen und Socken für die Kinder, und er hatte sich schon wieder eine neue Kamera gekauft. In dem Material aus der Zeit sind Schätze drin. Ich hoffe, das Kidlat, unser Sohn, das irgendwann mal editiert. Da sind total gute Filme drin.

 

Er wurde nämlich dann auch von einer spirituellen Gruppe adaptiert, er und Kabunyan. Die Frau, die da an der Spitze steht, ist die Leiterin von dem Millennium Movement, das es heute noch in den Philippinen gibt. Sie ist da das Oberhaupt, eine Heilerin oder eine Schamanin, eine Ursprüngliche, nicht gelernt, sondern aus sich heraus durch Inkarnation von ganz frühen Zeiten. Er hat da so viele Rituale gefilmt, die wunderschöne Filme ergeben würden. Er hat nicht aufgehört zu filmen. Aber er hat aufgehört, daraus Filme zu machen.

 

Dazu kam, dass meine Schwiegermutter irgendwann dement wurde. Er musste dann für deren Pflege da sein. Seit der Zeit wohnten wir dann auch in verschiedenen Häusern. Ich wollte nicht zu denen in das Haus ziehen. Ich wohne weiter am Stadtrand, in dem Familienhaus. Meine Söhne wohnten zum Teil noch länger dort. Die sind dann ausgezogen, als die Kinder größer wurden und durch diese hölzernen Treppen durchgefallen wären. Also ich wohne da bis heute noch.

 

Frage: In diesem Hochhaus von Kidlats Vater?

 

Antwort: Nein. In einem Haus, das noch verrückter ist als das Hochhaus. Mit einem Schildkrötenhaus. Lauter Hobbit-Häuser gibt es da. Nachdem unser Haus abgebrannt ist, das Ursprüngliche, das Sunflower Collectiv. Das war ein normaler Holzbau, alles viereckig. Dann hat er hat mit Kabunyan, dem Jüngsten und zum Teil mit zwei Arbeitern, aus der Asche wie ein Phoenix, aus den ganzen verbogenen Eisen und angebrannten Hölzern, eine völlig neue Siedlung, aus lauter kleinen Häusern, gebaut.

 

Frage: Das sieht man ja auch in einem Film, "Roofs of the World". Da sieht man das abgebrannte Haus und auch die ersten Rekonstruktionen.

 

Antwort: Ja. Und auch in dem Film, diese Wasser, wo der Magellan die Wurzel da rumschmeisst und in der Badewanne rumtaucht. Da war es saukalt an dem Tag. Das ist auch in dem Haus. Da wollte er doch einen Teich anlegen, obwohl es im Sommer kein Wasser gibt. Den habe ich dann inzwischen mit Steinen gefüllt. Er hat eine visionäre Phantasie. Zum sauber machen sind diese Häuser unpraktisch. Kein Vorrat, keine Regale, nichts. Aber visuell wirklich sehr interessante Häuser. Ich lebe gern zwischen riesengroßen Panoramafenstern mit Blick auf den Wald. Keine einzige Ecke ist gerade. Alles ist krumm und schief, wie Rudolf Steiner das ja auch vorschlägt.

 

Frage: Kidlat ist also gar nicht nur ein Filmemacher, sondern er hat eine Art Gesamtkunstwerk geschaffen, dass sich auch in den Bereich der Architektur oder der Performance Art erstreckt?

 

Antwort: Ich würde das, was Kidlat macht als „Lecture Performance“ bezeichnen. Es gab in Baguio diesen Rene Aquitana, der ist aber auch inzwischen schon tot. Der hat zu wagemutige Projekte gemacht, wo er dann Leukämie bekommen hat. Kidlat absorbiert das. Einige Leute sagen: "Er absorbiert das. Das ist doch unseres. Warum macht er das jetzt?" Ich sehe das so, dass er immer alles nur benutzt, um seine Message rauszukriegen. Diese Message finde ich wichtig und gut. Da sollte man vieles einfach sehen, dass für ihn alles ein Instrument ist, gehört zu werden: Dass diese ganze Moderne, die uns in den Philippinen aufgezwungen wurde, zu nichts als Verderbnis führt. Felder, die vergiftet werden. Bäume, die abgeschnitten werden. Meere, die verschmutzt werden. Nur weil jeder Profit machen will. Man sollte sich doch mal in den Dritte-Welt-Ländern überlgen, ob das wirklich sinnvoll ist oder ob die indigenen Stämme nicht auch Modelle des Überlebens anbieten. Das wäre die Message.

 

Frage: Die Kameras scheinen im Familienleben allgegenwärtig gewesen zu sein. Hat das nicht auch manchmal gestört?

 

Antwort: Meine Kinder sind ja so aufgewachsen. Die Kamera war immer dabei. Mich hat es schon manchmal genervt, und ich habe zu ihm gesagt: "Schaust Du Dir die Dinge überhaupt an oder siehst Du sie nur durch die Kamera?" Aber Kidlat hat eine Technik, die Kamera zu halten, dass die Leute gar nicht merken, dass sie gefilmt werden. Drum ist er auch erfolgreich in den Dokumentationen, weil er einfach mit den Leuten redet und gar nicht mehr hinschaut.

 

Frage: Diese Identifikation oder dieses Interesse für die Kultur der Ifugao, das hat sich ja dann auch so in den 80er und 90er Jahren immer weiter gesteigert. Was sagst Du dazu?

 

Antwort: Das ist ein Austausch. Kidlat hat Lopez Nauyac, der immer wieder in seinen Filmen vorkommt, bei einem Videoworkshop kennen gelernt. Lopez Nauyac ist ein Ifugao, der aus den Bergen nach Baguio gezogen ist, weil er dort seine Schnitzobjekte besser verkaufen konnte. Aus dieser Begegnung hat sich über Jahre eine Freundschaft entwickelt - wahrscheinlich deshalb weil Lopez Nauyac irgendwann anfing zu sagen: "Jetzt haben wir jahrelang Holz benutzt. Wir müssen auch mal wieder pflanzen." Und dann hat er angefangen in seinem Bergdorf zu pflanzen. Das hat Kidlat Tahimik im Rahmen eines Projekts über die Ifugao zusammen mit anderen Sozialwissenschaftlern dokumentieren. Das war für die UNESCO.

 

Da war eine Frau, die die Geschichten dokumentiert hat. Und noch eine andere Frau, die auch Interviews gemacht hat. Da war Kidlat Tahimik so beeindruckt, wie diese Reisterrassen-Bewässerung läuft, dass der Wald am Berggipfel am Leben gehalten wird, weil der Wald ja dann das Wasser gibt, das die ganzen Felder bis runter zum Tal irrigiert. Das war eine Faszination, die dort anfing. Dann hat er von sich aus angeboten, Workshops zu geben. Diesen Ifugao: erst den Jugendlichen, dann den Männern und dann den Frauen. Dann hat er dafür von Japan eine kleines Stipendium bekommen. Lopez und seine Familie waren auf jeden Fall faszinierend. Der hat ganze Berge bepflanzt. Da haben die Kommunen gesagt: "Ja, wir haben nur Süßkartoffelfelder." Da hat Lopez gesagt: "Ja, dann bepflanzt doch in die Süßkartoffelfelder. Die Süßkartoffel wächst auch mit Bäumen. Und in ein paar Jahren habt dann ihr Holz und Früchte." Das hat der Lopez im Alleingang angefangen.

 

Dann haben einige Workshops stattgefunden. Kidlat hat dann auch einige Ifugaos trainiert, Videoworkshop-Facilitators zu werden. Diese Bauern haben alle Kameras kaputt gemacht. Immer nur der Knopf, der gedrückt wurde, war bei allen kaputt. Alle zehn Kameras, die er von Japan bekommen hat, waren am Schluss kaputt.

 

Und dann hat er ein Grundstück mit Lopez getauscht. Er hat seiner Mutter ein Grundstück abgeluchst, das für sie auch gar keinen Wert hatte, weil es felsig war. Das lag außerhalb von Baguio. Er hat das mit einem kleinen Reisfeld eingetauscht. Dann hat er eine kleine Hütte darauf gebaut. Das ist seine Ifugao-Residenz. Durch ihn kamen die Kontakte mit Japan zustande, die dann eine „School of Living Tradition“ finanziert haben, in der die Jugendlichen wieder lernen zu weben und zu tanzen.

 

Kidlat Tahimik hat so vielen Leuten geholfen. Die kommen immer zu ihm, wenn sie Geld
brauchen. Jemand ist im Krankenhaus, sie wollen was verkaufen, sie wollen dies, sie wollen jenes, sie brauchen Rat, sie brauchen einen Rechtsanwalt. Sie kommen alle zu Kidlat Tahimik. Der eine ist krebskrank. Da ist in Baguio ein chinesischer Arzt, der nicht so viel verlangt, der das behandeln kann. Ich weiß nicht, ob Ihr Astrologie kennt oder was Ihr davon haltet? Wenn das Horoskop rund ist, dann hat Kidlat Tahimik alles auf seiner Sonne sitzen. Der kann gar nicht anders. Das ist eine astrologische Vorbelastung, die er da hat.

 

Er wurde im Zweiten Weltkrieg geboren. Die Eltern haben geheiratet, weil der Krieg kam und es bekannt war, dass die Japaner alle unverheirateten Frauen als „Comfort Woman“ (Zwangsprostituierte – Anm.) genommen haben. Da haben sie einfach ganz schnell geheiratet. Eric ist dann im Oktober 1942 während des Carpet Bombings auf Baguio auf die Welt gekommen. Ich habe ihn gefragt, was seine frühesten Erinnerungen wären. Nach langem Überlegen sagte er, dass es so ein Geräusch wäre, diese Bomber, die die Bomben abwerfen. Das ist seine früheste Erinnerung.

 

Dass er heute so viel sammelt und die Sachen so arrangiert, ist meines Erachtens ein Resultat davon, in diesem absoluten Chaos auf die Welt zu kommen zu sein. Er ist ein halbes Jahr hin und her gezogen, zwischen Verstecken in den Bergen und der Stadt, in der die Großmutter nicht aus ihrem Laden weg gegangen ist. Dieses Chaos ist noch heute in seinem Leben. Das ist wahrscheinlich auch in seinen Filmen drin: der Versuch aus dem Chaos Sinn zu machen. Er sucht einfach nach etwas Sicherem. Er arrangiert ja auch seine Installation immer wieder neu.