Interview Katrin De Guia Teil 2: Umzug in die Philippinen und "Who invented the Yoyo? Who invented the Moon Buggy?"

 

Frage: Du hast gesagt, dass Du Dich schon damit abgefunden hattest, alleinerziehende Mutter zu sein, weil Kidlat nicht zum Familienleben geeignet war. Wieso hast Du Dich dafür entscheiden, mit diesem Mann in ein fremdes Land zu ziehen, dessen Sprache Du nicht sprachst?

 

Antwort: Ich war 1973 das erste Mal in den Philippinen. Das Land hat mir von Anfang an gefallen. Die Menschen waren superfreundlich. Und ich traf meine Schwiegermutter, die habe ich auch wahnsinnig gerne gemocht. Das war eine fantastische Frau. Und dann waren wir in Amerika und haben den Bruder von der Mutter getroffen, Victor Oteyza. Der war Maler und auch ein interessanter Mensch. Danach habe ich mir gedacht: „Auch wenn er so ist, wie er jetzt eben ist, da ist so viel Potential.“ Die Verwandtschaft hat mich überzeugt, dass das eine Familie ist, zu der ich auch gerne gehören möchte.

 

Kidlats Mutter habe ich von Anfang an vertraut. Ich wusste ich, sie würde mich nie angreifen, sie würde mich beschützen, und das hat sie auch gemacht. Auch wenn ich mit ihm Streit hatte, hat sie sich nicht auf seine Seite gestellt. Sie war keine Feministin, das gab es ja noch nicht, aber eine Suffragette. Sie hat mir immer gesagt: "Katrin, you have to create your own opportunity.." Sie war eine Frau voller Weisheit, wirklich unglaublich überzeugend und sehr kultiviert.

 

Kitlat habe ich seine Eitelkeiten, den Narzissmus und den Solipsismus irgendwann vergeben. Genauso geht es mir jetzt mit meinen Kindern. Mein zweiter Sohn ist ein enormes Genie in Bezug auf Kunst. Aber er kann manchmal so ein unangenehmer Typ sein. Und dann sagt mir immer unser ältester Sohn, der Kidlat: "Nimm die Menschen so, wie sie sind. Das ist auch eine philippinische Stärke." Mir war das schon ganz früh klar, dass ich keinen Menschen aus meiner eigenen Kultur heiraten würde. Warum, weiß ich nicht. Aber was uns zusammen hält, ist eine gemeinsame Mission.

 

Ich hatte einen wiederkehrenden Traum, für Jahre. Mindestens einmal im Jahr hatte ich diesen wiederkehrenden Traum. Da ist eine Linie, wie von einem Filzstift gezogen, über eine Landkarte. Das fängt irgendwo in Europa an und endet irgendwo in Asien, und ich wusste nie wo. Und als ich drei Jahre in den Philippinen war, wurde mir plötzlich klar: Das ist der Traum, den du als junger Mensch hattest. Die Philippinen waren damals in Deutschland überhaupt nicht bekannt. Genau da hat diese Linie geendet.

 

Dann hatte ich noch andere Träume, die mir einfach ganz klar sagten: Das ist mein richtiger Platz, und das ist der richtige Mensch, mit dem ich da zusammen arbeite. Wir hatten wirklich eine stürmische Ehe. Aber einige gute Sachen sind geblieben. Als wir in Paris wohnten, sind wir mal auf einem Flohmarkt gewesen, und da kam so ein Typ auf uns zu. Ich weiß nicht, ob der aus Nordafrika war, vielleicht auch ein Zigeuner, auf jeden Fall hat er uns angeschaut und gesagt: "Ihr seid so verschieden. Aber ihr seid genau dasselbe." Ich glaube an Visionen. Wir ziehen am selben Strang.

 

Frage: Was ist diese gemeinsame Mission?

 

Antwort: Ich hab ja dieses Buch über die philippinische Psychologie geschrieben. Und ich habe diese Heritage & Arts Foundation gegründet, die mit indigenen Leuten arbeitet. Ich habe diese Konferenzen gemacht, die er jetzt weiter macht. Der Überbau ist eine ähnliche Vision.

 

Als ich 17 war, bin ich mal in der S-Bahn von Abteil zu Abteil gegangen und hab mir die Schuhe von den Leuten angeschaut. Die waren alle neu. Und da hab ich mir gesagt: "Irgendwie ist meine Zeit hier abgelaufen." Was passiert mit den getragenen Schuhen? Die werden weg geworfen. Wo gehen die hin? Was passiert damit? Mir hat diese Wegwerfgesellschaft nie zugesagt. Solche Überlegungen sind nicht durch unsere Zusammenarbeit entstanden, sondern waren schon zuvor da, haben sich aber durch die Zusammenarbeit stärker ausgeprägt.

 

Frage: Kannst Du die familiäre Situation beschreiben, in die Du da eingeheiratet hast?

Antwort: Das war eine Familie der oberen Mittelklasse. Kidlats Mutter war Bürgermeisterin und wollte Gouverneurin werden. Dafür ging das ganze Geld drauf, und sie hat nicht gewonnen. Die Familie hat sich hauptsächlich durch das Ingenieurgehalt von Erics Vater am Leben gehalten. Der hat große, hotelähnliche Pensionen am Stadtrand gebaut, die sich nicht verkaufen ließen und nie Geld gebracht haben. Beide hatten noch die Verbindung zu den einfachen Leuten. Die Mutter hat so eine Ifugao-Volkstanzgruppe angefangen, wo sie für die Touristen getanzt haben. Der Vater hat auch alles Mögliche an Schnitzereien gekauft, aber nicht die besten Stücke. Das wussten die Leute schon, dass wenn man in Baguio an niemanden mehr verkaufen kann, dann hat es der Victor de Guia doch noch genommen.

 

Kidlats Großmutter spielt in "Perfumed Nightmare" die Mutter. Sie war eine starke Geschäftsfrau. Als die Amerikaner die Stadt bombardiert haben, blieb sie in ihrem Laden, damit nichts gestohlen wurde. Sie wurde verschüttet und wieder ausgegraben, aber nichts von ihren Dingen kam weg. Sie hatten einige Grundstücke, gekauft in der Vorkriegszeit, als das Land noch billig war. Und sie hatte zwei Läden.

 

Unsere Lebensgrundlage war immer schon gesichert. Wenn wir kein Geld hatten, um unsere Kinder in die Schule zu schicken, hat die Mutter das Schulgeld gezahlt, auch die Kleidung zum großen Teil. Wir haben in einem riesengroßen Haus am Stadtrand gewohnt, in einem von diesen Hotels. Das hat Eric für unsere Familie bekommen. Da haben wir Workshops gemacht. Das Haus wurde sofort wieder geteilt. Wir hatten Dauergäste. Wenn er ein bisschen Geld hatte, dann hatte er das weitergegeben. Wenn er Kameras hatte, dann hatte er diese dem Sunflower Film and Video Collectiv gegeben. Die Leute haben sich die Kameras geliehen, haben ihre Filme gemacht, haben die Kameras kaputt zurück gebracht. Reparieren war dann wieder die Sache von Kidlat Tahimik. Genauso mit dem Schneiden. Bricco Santos hat seinen ersten Film bei uns auf dem Schneidetisch geschnitten.

 

Ich kann nicht sagen, dass mein Leben einfach war. Mal war Geld da, dann wieder überhaupt nicht. Es gab manchmal wochenlang dasselbe Essen, weil kein Geld da war. Das hat sich erst geändert, als die Großmutter gestorben ist, und die Mutter einige Grundstücke geerbt hat, die sie dann weise in ein Hochhaus an der Hauptverkehrsstraße investiert hat. Als es noch nicht fertig war, war da unten ein Künstlerbar. Ach, was heißt Bar? Da hat halt eine Gruppe gespielt, und aus Bierkästen wurden das Bier verkauft. Kunst war immer ein Teil des Lebens, und die Mutter hat das auch unterstützt.

 

Baguio hat dieses interessante Gemisch aus Arm und Reich, von indigenen Leuten und zugereisten Manileños, ein buntes Gemisch aus allen Kunstrichtungen. Das hat sich in Baguio getroffen und da kam auch Benedicto Cabreradazu und Roberto Villanueva, der diese Bambusbrücken gebaut hat. Und der Rene Aquitania, der diese Papierinstallation hatte und der Willy Magtibay, der ein relativ bekannter, philippinischer Maler war. Die haben sich dann zusammengeschlossen.

 

Da war schon immer die Frage: How about the women? Wir waren vielleicht drei oder vier women artists, aber wir haben null Anerkennung bekommen. Die Männer haben das gegründet. Die Männer haben das gemacht. Die Männer haben die Entscheidungen gefällt. Das ist heute noch so: Die Männer gucken in die Flasche, und die Frauen können sich das nicht leisten, die haben die Kinder zu Hause.

 

Frage: Das heißt, Du hast die ganze Zeit auch weiter an Deiner Kunst gearbeitet, zum Beispiel an den Bleiglasfenster?

 

Antwort: Ja, das sieht man auch in einem der Filme. Einmal hab ich fast die ganze Familie vergiftet, weil ich diese Säure draußen im Garten gemacht hab. Die Kinder hatten lauter rote Punkte im Gesicht, und die Blätter sind alle abgefallen.

 

Unser Haus war super. Es hatte drei Stockwerke, unten waren die Ateliers, in der Mitte haben wir gewohnt, und oben waren der Schneidetisch und dann noch zwei Zimmer. Da haben immer irgendwelche Musikanten oder Künstler, die kein Haus hatten, gewohnt. Sie haben mitgearbeitet bei den Filmen, mit den Kindern was gemacht und im Garten mitgeholfen. Wir haben das Essen besorgt und die Elektrizität bezahlt, den Transport und das Material, das sie brauchten.

 

Frage: Wenn man jetzt die Filmografie vom Kidlat anschaut, gibt es Zeiten, wo er regelmäßig Filme gemacht hat, aber dazwischen auch lange Pausen. Hat er immer an seinen Filmen gearbeitet? Oder gab es auch Phasen, wo er andere Sachen gemacht hat?

 

Antwort: Er hat immer an den Filmen gearbeitet. Er hat auch Festivals geleitet, mit der Kommune gearbeitet, denn die kannten ihn und seine Familie. Da hat er auch zum Teil Projekte gehabt, die dann wieder ein bisschen Geld rein gebracht haben, und hier und da eine Vorführung. Diese ganze, lange Zeit hat meine Schwiegermutter uns unterhalten. Zur ihr konnten wir die Kinder bringen, weil sie Angestellte hatte. Und wenn wir wirklich kein Geld hatten, hat sie das Benzin für das Auto noch bezahlt. Es war schon eine sehr große Abhängigkeit. Sie selber war auch mal Schauspielerin. Sie hatte Kunst geliebt, und sie hat ihren Sohn geliebt.

 

Frage: Und die Filme, die ihr Sohn gemacht hat?

 

Antwort: Die hat sie zwar nicht verstanden, aber sie war so wie Kidlat, der absolut hundertprozentig positiv ist. Sie hat einfach alles unterstützt und ihn ertragen. Du weißt ja, wie er aussieht, mit seinen komischen Hosen und den schmutzigen Fingernägeln. Wenn ihr Sohn bei den Rotariern aufgetaucht ist, hat sie ihn nie raus geschmissen, sondern ihn mit einem Lächeln toleriert und gesagt: "Er ist eben Künstler."